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Jahresbericht 2020

Bildung im Ausnahmezustand, so könnte das vergangene Jahr beschrieben werden. Corona hat 2020 seinen Stempel aufgedrückt, die Kolleg*innen im Bildungszentrum haben das Beste daraus gemacht - ein Überblick...

Warum verlässt man mit 14 Jahren voller Angst und Ungewissheit „Hals über Kopf“ Familie und Heimatland? Wie kommt man nach Monaten auf der Flucht, zu Fuß oder übers Meer, in Europa an? Am Abend des 12. März 2020 diskutierten 25 Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Chiemgau zum Thema Flucht und Vertreibung im Café International. Als „Experte“ dabei, M. aus Afghanistan, mittlerweile Azubi nach erfolgreichem Schulabschluss und volljährig. Die Jugendgruppe hatte sich für ihren Aufenthalt in der Jugendbildungsstätte dieses Thema aus der Reihe „Politische Bildung“ auserkoren. Mit M, einem der ersten sogenannten „Unbegleiteten Minderjährigen“ auf der Burg, ein eindrucksvoller und langer Abend – der letzte dieser Art für Monate. Nach der Abreise der Gruppe ging mit dem Lockdown und den verfügten Infektionsschutzmaßnahmen wegen der aufkeimenden Corona-Pandemie der normale Betrieb im gesamten Bildungszentrum abrupt zu Ende.

Im April entstanden im Verbund der Jugendbildungsstätten und -herbergen detaillierte Hygiene- und Schutzkonzepte für den Speisesaal, die Seminarräume und den ganzen Übernachtungsbereich. So konnten zumindest die Tagesveranstaltungen mit räumlichen Veränderungen im ganzen Haus schnell wieder aufgenommen werden. Die Umstellung auf Onlineformate fiel im KJR München Land nicht so schwer, Erfahrungen mit internationalen Onlinekonferenzen bestand spätestens seit den Jahren 2009 mit den deutsch-polnischen Jugendparlamenten im Rahmen der Landkreispartnerschaft mit Krakau / Wieliczka.

Von digital zu Präsenz und wieder retour
Für alle Bereiche des Bildungszentrums galt fortan, die Kontakte zu den Kindern und Jugendlichen, den Eltern und Multiplikatoren sowie allen, die in der Jugendarbeit tätig sind, zu halten und unter geänderten Bedingungen möglichst viele Veranstaltungen stattfinden zu lassen. Die Bildungsreferent*innen sattelten prompt um: Teile der Weiterbildung „Umweltpädagogik“ sowie die „Interkulturelle Klimaküche“ fanden bereits im Frühjahr digital statt, so manche Fortbildung sowie Ehrenamtsausbildung erreichte die Teilnehmer*innen online. Die Berufsorientierung konnte in Tagesveranstaltungen durchgeführt werden, einige Referent*innen kamen vor Ort, um Fahrten zahlreicher Personen zu vermeiden und Zugangsschwellen zu senken.

Ab Pfingsten gab es wieder eingeschränkt Übernachtungen mit ein bis zwei Personen im Vierbettzimmer. Spätestens im Sommer brachten zahlreiche Ferienveranstaltungen mit vielen glücklichen Kindern und Jugendlichen wieder Leben auf die Burg. Ein zwölfjähriger Teilnehmer umarmte trotz aller „Spiele auf Abstand“ einen Bekannten beim Indianercamp mit den Worten: „Ich weiß, dass ich das eigentlich nicht soll, aber ich halte es eben nicht aus“. Er hatte in den ersten sechs Wochen des Lockdowns die elterliche Wohnung nicht verlassen und keinen Freund getroffen. Die Ferien-Sonderprogramme, auch auf der Burg, konnten vor allem im städtischen Raum Belastungen der Familien bei der Kinderbetreuung abmildern – Kultusminister Michael Piazolo und BJR-Präsident Matthias Fack überzeugten sich bei einem Besuch persönlich davon.

Kurse mit Student*innen oder anderen größeren Gruppen fanden von September bis November mit Mindestabstand, Maske, Lüftungskonzept und in den großen Räumen bzw. in den Schönwetterperioden möglichst draußen statt. Unser Résumé: Alle Teilnehmer*innen des Seminarbetriebs verhielten sich sehr verantwortungsvoll und gingen sorgsam mit der unsichtbaren Bedrohung um.

Jede Krise birgt auch Chancen
Für den Wirtschaftsbetrieb war und ist Corona eine Herausforderung: Bis zum Jahresende war die Burg mit allen Zimmern und Tagungsräumen fast ausgebucht. Das Verbot der Schulfahrten änderte die Situation schlagartig, der Übernachtungsbetrieb kam zeitweise zum Erliegen, die Ausgabesituation im Speisesaal mit zwei Personen am Sechsertisch erforderte plötzlich einen doppelten Personalaufwand bei weniger Gästen. Seit Mai 2020 ist ein Großteil der Kolleg*innen in Kurzarbeit, freigewordene Stellen – bei den Azubis, Freiwilligendiensten, in der Küche… – wurden nicht nachbesetzt, um das Betriebsdefizit zumindest zu minimieren. Das verbleibende Team schulterte die neuen Aufgaben großartig und sorgte so für einen reibungslosen Ablauf. Für die Kolleg*innen, die sich seit Monaten nicht mehr persönlich treffen durften, ist auch eine Online-Weihnachtsfeier im -fast- gleichlautenden Softwareprogramm ein unbefriedigender Euphemismus. Durch Rettungsschirme und das „Sonderprogramm Soziales“ konnte der Zerfall des bewährten Systems der gemeinnützigen Bildungs- und Beherbergungsbetriebe im Freistaat vorerst gestoppt werden, auch die Burg Schwaneck profitiert von den unbürokratischen Übergangshilfen.

Jede Krise birgt auch Chancen: Gleich nach dem Lockdown kamen die für den Burgbetrieb eingekauften Lebensmittel der Tafel zu Gute. Den Austausch via Online-Tools inklusive der hybrid ausgetragenen monatlichen Jour-Fixe-Veranstaltungen nahmen alle Bildungsreferent*innen extrem gut an, die Entwicklung neuer Formate wird auch nach der Krise das Angebots-Portfolio erweitern. Sehr positiv entwickelte sich bei allen Herausforderungen der Pandemie der intensive fachliche Austausch im Kreisjugendring, im Bayerischen Jugendring, aber auch unter den Bildungshäusern, mit dem Landratsamt und mit den politischen Verantwortungsträgern. Mit dem Bezirk Oberbayern konnte im September ein neuer Vertrag beschlossen werden, der die bezirkliche Bedeutung des Bildungszentrums in allen Belangen stärkt. Im Programm kann insbesondere die politische Bildung ausgeweitet werden.

Burg Schwaneck 2020 – Bildungsbetrieb im Ausnahmezustand,
so könnte die Überschrift für dieses Jahr lauten – alle Kolleg*innen haben es mit großem Engagement und Bravour gemeistert. Nichts desto trotz freuen sich Jede*r auf ein 2021 in ruhigerem Fahrwasser und auf engagierte Diskussionen zu den Themen „Wie wollen wir leben?“, „Flucht und Vertreibung“, oder zur historischen Rolle des deutschen Kolonialismus … und auf zahlreiche Schul- und Gruppenfahrten, Sprachcamps, verbandliche Veranstaltungen, Internationale Jugendbegegnungen und vieles weitere, was dieses Jahr nicht möglich gewesen ist.

Download: Jahresbericht Bildungszentrum Burg Schwaneck 2020 (PDF)